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Weggefährten
2. Teil - Philipp

Philipp tolerierte nur widerwillig
meine „nutzlosen Anstrengungen“
wie er es nannte. Und meinte dabei
meine (mindestens eine) Stunde,
die ich täglich beim Klavier-üben
verbringen musste. In der Zeit
könnte ich mit ihm „Großes“
vollbringen, tönte er.
Ansichtssache!

Zurück zum russischen Steineduell:
Als auf der Theresienwiese,
unserem bevorzugten Revier, ein
mannshoher Steinhaufen
aufgeschüttet worden war fiel ihm
folgender gefährlicher Blödsinn ein.
Ein Duell!
Die beiden Duellanten erhalten
jeder 3 gut haselnussgroße Steine.
Sie platzieren sich auf den Seiten
des Steinhaufens so, dass sie sich
in einem Abstand von ca. 10 m
gegenüber stehen, aber keiner den
anderen hinter dem Steinhaufen
sehen kann. Die Duellanten
müssen fortgesetzt reden oder
singen und der jeweils andere
versucht seinen Gegner mittels
akustischer Ortung zu treffen.
Außer mir hatte keiner genug
Mumm
(oder Blödheit) um gegen
ihn anzutreten.
Am ersten Tag – kein Treffer.
Am nächsten Tag teilte Philipp
4 Steine aus – kein Treffer. Am
3. Tag wurden 5 Steine verteilt,
aber er brauchte diesmal nur
einen Wurf, um mich am Kopf zu
treffen. Platzwunde, Rinnsale aus
Blut liefen mir am Schädel herunter.
Philipp stoppte ein Taxi und brachte
mich zur Haunerschen Kinderklinik.
Dort wurde die Wunde genäht und
ich benutzte das Taxi, um wieder
nach Hause zu kommen. Als meine
Mutter mir die Tür öffnete und der
Blutspuren und des Kopfverbands
ansichtig wurde, schrie sie auf und
verlor flugs ihre Gesichtsfarbe.
Ich dagegen erläuterte nüchtern:
„Koa Angst, Mama. Beim nähen
war i schon. Koa Problem sogt der
Doktor. Du miassast bloß nu des
Taxi zoin, der Fahrer wart unten“!

Seine Idee war der Oktoberfest-
-Wettlauf. Man stelle sich vor,
Oktoberfest-Hochbetrieb. In einer
Reihe stehen die Wettläufer
(2 – 5 Kinder) nebeneinander
auf der Querstraße die zur
Bavaria führt, das Gesicht dem
Ziel, dem Wiesn-Haupteingang
zugewandt. Entfernung : 900 m.
Nach dem Startsignal laufen sie so
schnell sie können die
Wirtsbudenstraße hinunter. Ein
anspruchsvolles Hindernisrennen
durch und um Stände, Buden und
Menschenansammlungen herum,
über Pferdeäpfel, Pfützen, Scherben
und Glassplitter, mit riskanten
Ausweichmanövern bei manch
unvorhersehbaren Reaktionen
Betrunkener. Zusammenstöße und
Stürze waren bei diesem Rennen
vorprogrammiert.

Er liebte es mit Erwachsenen in
einen sportlichen Wettstreit zu treten.
Das hieß, sie so zu ärgern, dass sie
versuchten seiner habhaft zu werden.
Zum Beispiel durch den Bewurf mit
Wasserbomben oder dem Beschuss
mit dem Erbsen-Blasrohr. Er lief
dann weg, hatte natürlich vorher das
Gelände gründlich sondiert und sich
dadurch leichte Vorteile verschafft.
Zu seiner Ehrenrettung sollte ich aber
noch erwähnen, dass er sich stets
Gegner auswählte, die eine Chance
hatten ihn zu erwischen. Also keine
alten Damen oder so.
Es war ratsam dieses Spektakel aus
angemessener Entfernung zu
beobachten, weil es seinen
enttäuschten Verfolgern auch
genügte ein zuschauendes
(oder gar ein lachendes) Kind zu
ohrfeigen, wenn sie den
eigentlichen Täter nicht erwischen konnten.

Seine Idee war es den
Zaubertrank
zu brauen. Ein gefundener Kessel
und die ersten Asterix-Bände hatten
ihn inspiriert. Wir bemühten uns in
den Mülltonnen die passenden
Zutaten zu finden und kippten, über
mehrere Tage hinweg alle möglichen
Fundstücke hinein. Das Regenwasser
füllte ihn, und unser „Druide
“, der es
sich nicht nehmen ließ zum
Abschluss höchstpersönlich nicht
nur umzurühren, sondern auch
hineinzupinkeln, erklärte den Trank
irgendwann für fertig. Aber keiner
von uns Galliern wollte probieren!
Wir mussten uns also einen Römer
schnappen
. Wenn wir die Gallier sind,
wer sind dann die Römer? Richtig!
Die Konkurrenzbande aus der
Gollierstrasse. Wir schnappten uns
also einen dieser Buben und der
musste einen Löffel voll
Zaubertrank zu sich nehmen.
Enttäuschenderweise bekam er
daraufhin keine Superkräfte
sondern nur einen grünlichen Teint.

Philipp hatte auch ein geheimes
Lager mit geklauten Spielsachen.
Da gab es Kuscheltiere genauso wie
Indianer- oder Ritterfiguren.
Pistolen, Bälle, Kreisel, kleine
Plastikflugzeuge neben Lego und
Trix-Baukästen. Rennautos und
Glasperlen. Sogar Schienen und
Teile von Märklin-Eisenbahnen
lagerten dort. Er spielte damit aber
nicht. Erstens weil diese Räuberhöhle
dieses Geheimversteck
(dessen Anblick,
außer ihm selbst, nur mir gestattet wurde
)
im Prinzip nur ein überdachter
Hohlraum zwischen zwei Gebäuden
war. Ein vergessener Schacht, sehr
eng und unbequem, lichtlos und
unbeheizt. Aber er hätte, auch wenn
er gewollt hätte, das Zeug nicht mit
nach Hause nehmen können, denn
wie hätte er diesen Besitz seiner
Mutter erklären sollen.
Aber darum ging`s ihm gar nicht.

Für ihn war das ein Schatz aus
lauter Pokalen. Auszeichnungen
und Trophäen seiner Siege, denn es
war überwiegend der sportliche
Aspekt
der ihn reizte. Der Adrenalin
-gespickte Moment der Spannung
wenn er seine Geschicklichkeit
gegen das Misstrauen und die
Aufmerksamkeit der Verkäufer und
Warenhaus Detektive ausspielte.
Einmal die Woche
(ich glaube Mittwochs immer 18°° Uhr)
nahm mich mein Vater mit zum
Schwimmen ins Westbad. Einmal
überredete ich ihn, den armen
vaterlosen Philipp auch
mitzunehmen. Aber wie sagte
der Skorpion zum Frosch:
„Ich kann einfach nicht aus
meiner Haut heraus“ Philipp
musste mich einfach andauernd
festhalten, schubsen, anspritzen
und untertauchen. Dies wurde
meinem Papa irgendwann zu
bunt. Er schnappte sich meinen
Kumpel und erklärte ihm ziemlich
eindringlich seinen Standpunkt
(dass er mich gefälligst in Ruhe
schwimmen lassen solle und nicht dazu
zwingen, das halbe Becken auszutrinken
).
Als er daraufhin einige provokante
Antworten bekam, wurde er ziemlich
wütend und es ging gerade noch mal
so ohne Ohrfeigen ab. Von da an,
war die Freundschaft mit Philipp
passé.
(Zurückweisungen und
Niederlagen konnte er nicht wegstecken
)
Nachdem er mir einige Tage aus dem
Weg gegangen war, sprach ich ihn
darauf an und er meinte mein Vater
müsse sich bei ihm entschuldigen.
Das fand ich dann schon krass.
Nachdem ich nicht erkennen ließ,
dass ich auch nur ansatzweise
seine Ansicht verstehen konnte,
blieb es bei dieser frostigen
Stimmung zwischen uns.
Aber mir war´s egal. Ich war mit
ihm durch.
Damit meine ich: Die Faszination
die ich anfangs, angesichts seiner kreativen Energie,
seinen dunklen Neigungen und seiner Fantasie
empfunden hatte war sukzessive
der Erkenntnis
gewichen, dass hinter
dieser coolen Fassade ein relativ
engstirniger, eigensüchtiger,
trotziger kleiner Junge steckte.

Die Freundschaft mit ihm hatte mich
vieles gelehrt, aber auch vieles
gekostet. Platzwunde am Schädel,
Nasenbeinbruch, Oberarmfraktur
und natürlich jede Menge kleinere
Wunden und Blessuren. Doch all das
war nicht so schlimm wie der
Verrat meines Ex-Busenfreundes
Heinz.

Ich steuerte mittlerweile streng
auf die zwölf zu.
Ein magisches Alter …
Ich war eine Leseratte;
mittelprächtiger Realschüler;
Kinderchor-Sänger;
Klavierspieler; und
Studiosus des Street-Life.
Und jetzt kamen noch die
asiatischen Einflüsse hinzu.

Emil